Heute möchten wir euch ein Kinderbuch vorstellen, das ein wenig anders ist. Es stammt vom Bestsellerautor und Oscarpreisträger John Irving höchstpersönlich. Allerdings ging es ihm  ursprünglich überhaupt nicht darum, ein Kinderbuch zu veröffentlichen. Damals erzählte er diese Geschichte in seinem Roman „Witwe für ein Jahr“. Seine Figur Ted Cole tritt darin als Kinderbuchautor auf, der seiner kleinen Tochter Ruth immer wieder die nächtlichen Abenteuer von Tim und Tom erzählt.

Diese kurze Erzählung ließ der Diogenes-Verlag illustrieren und veröffentlichte sie in einem eigenen Buch mit dem Titel „Ein Geräusch, wie wenn einer versucht, kein Geräusch zu machen“.

Inhalt

Der 4-jährige Tom wacht mitten in der Nacht von einem furchtbaren Geräusch auf, und hat unheimliche Angst. Erst möchte er seinen kleinen Bruder Tim aufwecken, dann fällt ihm aber wieder ein, dass dieser mit seinen zwei Jahren noch nicht so gut sprechen kann. Er läuft stattdessen zu seinem Vater. In seiner Panik versucht er, das Geräusch so gut zu beschreiben, wie er kann, damit der Papa ihm auch ja glaubt, und helfen kann.
Der niedliche stilistische Fehler, der schon im Titel des Kinderbuches zu finden ist, setzt sich hier fort. Er sagt, es hätte sich angehört „wie ein Monster mit ohne Arm und ohne Beine“ und: „Es war ein so ein Geräusch, wie wenn in Mamis Schrank ein Kleid lebendig wird und von seinen Kleiderbügeln runterklettern will.“ Er redet sich richtig in einen Wahn und findet allerhand Beschreibungen und Vergleiche für diese unheimliche Sache, die er da gehört hat.

Am Ende beruhigt ihn sein Vater und erklärt, dass es sich nur um eine Maus in der Wand handeln würde, die schnell verschwindet, sofern er nur einmal dagegen schlägt. Das beruhigt Tom ungemein, und er schläft kurz darauf ein.
Nur der kleine Tim liegt nun hellwach in seinem Bettchen, und hat weiterhin Angst. Denn er weiß nicht, wie Mäuse aussehen, und gruselt sich vor ihnen.

Pädagogisch wertvoll

Kinderbücher dürfen ja nicht einfach nur eine spannende Geschichte erzählen, sie müssen auch immer in irgendeiner Weise pädagogisch wertvoll sein. Wenn ihr mich fragt, dann finde ich das ganz schlimm, und mich wundert nicht, dass so wenige Kinder später zu echten Leseratten werden.
Auch „Ein Geräusch, wie wenn einer versucht, kein Geräusch zu machen“ hat eine pädagogische Mission. Es möchte Kindern, die viele Zusammenhänge noch nicht verstehen, und sich ihre Welt mit ihrer eigenen Phantasie erklären, die Angst vor Monstern und der Dunkelheit nehmen. Viele Eltern haben ja Probleme mit Kindern, die nachts vor Angst aufwachen, und dann partout nicht mehr allein weiterschlafen wollen. Sei’s ein Monster unterm Bett oder der schwarze Mann im Schrank – sie sind davon überzeugt, dass irgendwo Gefahr droht.

Dieses Buch zeigt, selbst wenn man allein ist, und es dunkel und gruselig ist, und tatsächlich schaurige Geräusche zu hören sind, gibt es am Ende ganz bestimmt eine harmlose Erklärung dafür. Wo man selbst ein böses und unheimliches Monster sieht, handelt es sich am Ende nur um eine kleine und niedliche Maus.
Das schenkt Vertrauen und Sicherheit.

Wobei ich allerdings nicht ganz sicher bin, wie sinnvoll in diesem Zusammenhang die Illustrationen von Tatjana Hauptmann sind…

Unheimliche Illustrationen

Die Wiesbadenerin zeichnet dunkle Kinderzimmer mit Spielfledermäusen, die von der Decke hängen, einen schwarzen Mantel, der an der Treppe aufgehängt wurde, und aussieht, wie ein Mann, der sich dahinter versteckt, den einfallenden Mond in ein großes, nächtliches Zimmer oder das Haus in der Außenansicht: mitten in der Nacht und mitten im Nirgendwo ohne Nachbarschaft.
Möglich, dass diese Bilder manchen Kindern auch noch viel mehr Angst einjagen.
Oder vielleicht ist es auch notwendig, damit das jeweilige Kind versteht, dass auch Tom wirkliche Angst hat, und es sich mit ihm identifizieren kann.

Für Irvingfans?

Immer wieder liest und hört man, dass dieses Buch für Irvingfans ein unbedingtes Muss ist, und Erwachsene wie Kinder gleichermaßen Freude daran haben werden. Dem kann ich mich  leider nicht anschließen.
Ich habe es nur gekauft, da es in „Witwe für ein Jahr“ so groß angepriesen wurde. Ted Cole ist damit berühmt geworden, und seine Tochter hat ihn später immer wieder für seinen tollen Einstieg „Tom wachte auf, Tim aber nicht“ bewundert. Ich konnte das nicht nachvollziehen, habe mir aber gesagt, nun ja, die ganze Kindergeschichte kenne ich schließlich auch nicht.

Als dann das Kinderbuch veröffentlicht wurde, musste ich es kaufen, um herauszufinden, was an einer Gute-Nacht-Geschichte für Kinder so großartig sein kann. Zu meiner Enttäuschung handelt es sich aber Wort um Wort um das, was ich auch schon in Irvings Roman lesen konnte.
Als Erwachsene gibt mir diese Geschichte überhaupt nichts. Und was gibt es für einen Grund, sie unbedingt als Einzelband besitzen zu müssen, obwohl man sie ja schon aus „Witwe für ein Jahr“ kennt?

Kinder lieben es

Aber überraschender Weise lieben kleinere Kinder die Geschichte. Natürlich kann ich nicht für alle sprechen, aber mein Großneffe, der im Sommer vier geworden ist, und seine Freunde haben gespannt ihre Ohren gespitzt, als ich sie vorgelesen habe, und vor Spannung mitgezittert. Anschließend mussten wir noch gemeinsam jedes Bild genau ansehen, und darüber reden, was darauf alles zu sehen wäre, und was Tom gerade macht.

John Irving scheint sein Handwerk also wirklich zu verstehen – ob Roman, Drehbuch oder Kindergeschichte. So wie er die großen unterhalten kann, macht er es auch mit den Kleinen.
„Ein Geräusch, wie wenn einer versucht, kein Geräusch zu machen“ ist bestimmt einen Versuch wert, besonders wenn man Kinder hat, die Angst haben und abends nicht schlafen gehen wollen.
Für Erwachsene und Irvingfans bietet sie meiner Meinung nach aber keinen großen Mehrwert.