Wir alle lieben die Einfachheit. Wir mögen es, wenn wir alles auf Anhieb verstehen können und alle Sachen, ob unser Büro oder unsere Beziehungen, einer bestimmten Ordnung unterliegen würde. Einfachheit ist das Urbedürfnis der Menschen, sagte Werner Tiki Küstenmacher und hat mit seinem Kollegen Lothar J. Seiwert das Buch „Simplify your life“ geschrieben. Denn leider ist es bei einem Großteil der Menschen Utopie, ein einfaches und übersichtliches Leben zu führen. Alles ist irgendwie verwirrend. Das fängt bei den meilenlangen Bedienungsanleitungen für technische Geräte oder bei den unordentlichen Schubladen an und endet mit der Weltwirtschaft, der Börse und den Aktien.
Die Autoren haben sich also an die Arbeit gemacht und uns eine Methode aufgezeigt, mit dem wir unser Leben verbessern können: Das 7-Stufen-System. Am besten stellt man sich dieses als eine Pyramide vor, die aus sieben Teilen besteht. Jeder baut auf den anderen auf. Die erste und unterste Stufe ist nicht nur das Fundament dieses Bauwerks, sondern auch die Basis unseres Lebens. Besteht hier keine Ordnung und Klarheit, ist es nicht verwunderlich, wenn auch in den Bereichen aller anderen Stufen Chaos herrscht. Um folgende Dinge handelt es sich dabei:
(1) Sachen
(2) Geld
(3) Zeit
(4) Gesundheit
(5) Mitmenschen
(6) Partner
(7) Ich
In den folgenden Kapiteln widmen sich Küstenmacher und Seiwert dann den einzelnen Themen und bieten ein Sammelsurium an Tipps, mit denen wir die Lebensbereiche besser gestalten können. Man muss also damit beginnen, seine Habseligkeiten zu ordnen, aufzuräumen und auszumisten, um überhaupt in der Lage zu sein, seine Geldangelegenheiten zu klären, gutes Zeitmanagement zu betreiben, sich seiner Gesundheit zu widmen, die Beziehung zum Partner und zu anderen Menschen zu vereinfachen und schlussendlich bei sich selbst anzukommen, also bei seinem harmonischeren und glücklicheren Selbst.
Gekonnte Selbstorganisation
Soweit die Theorie. Hat der Ratgeber „Simplify your life“
denn auch überzeugt? In meinem Fall: Leider nein.
Die Tipps zum Entrümpeln fand ich noch sehr inspirierend und motivierend. Man sollte zum Beispiel immer nur mit dem Schreibtisch oder einer Schublade anfangen und sich vom Druck befreien, den ganzen Raum aufzuräumen und auszumisten. Den Tisch, die Schublade, das Regal (oder was immer man sich ausgesucht hat) räumt man dann komplett leer, auch wenn das heißt, dass man all den Kram zunächst auf den Fußboden verfrachten muss. Wenn man diesen Ort anschließend mit einem nassen Lappen reinigt, dann beschleicht einen schon ein erstes Erfolgsgefühl und der Wunsch, dass an diesem leeren Platz nur noch sinnvolle Dinge gelagert werden sollen, keimt in einem auf. Anschließend widmet man sich dem ganzen Zeug und sortiert. Im Falle einer Schublade wären das drei Stapel:
1) Kann weg
2) Unschlüssig
3) Behalten
Was man behalten möchte, sortiert man wieder ein. Den Stapel unschlüssig legt man in eine Kiste und verfrachtet sie auf den Dachboden oder in den Keller. Alle sechs Monate sollte man sie erneut durchsehen. Hat man nach einem Jahr nichts darin mehr gebraucht, dann kann man sie auch wegschmeißen.
Beim Schreibtisch, der Ablage oder sonstigen Arbeitsunterlagen macht man vier Stapel:
1) Alles, was weg kann
2) Was man demnächst selbst erledigen muss
3) Was man sofort erledigen kann
4) Und was sich delegieren lässt
Es wird dann auch noch weiter beschrieben, wie man alle „To-Do’s“ für die man momentan keinen Kopf hat, in Einzelschritte aufsplitten, weiter sortieren und ablegen kann. Es wird also eine Methode gezeigt, mit der wir unseren Wohnraum und unser Gehirn von Dreck, Unordnung und Belastungen befreien können.
Zu oberflächlich
Doch solche sehr nützlichen Tipps für den Alltag klingen dann auch mit dem Kapitel ab. Der Großteil des weiteren Buches hat schlichtweg enttäuscht. Man hat das Gefühl, man würde in einer Frauenzeitschrift blättern, in der kurz und knapp ein paar Punkte abgehandelt werden, die schön klingen, aber in keine Weise zum Handeln verführen. Alles sind mehr oder weniger Binsenweisheiten, die man selbst kennt und in dieser Form schon x-fach gelesen hat.
Das schlimmste dabei ist aber, dass die Autoren auch immer wieder in esoterische Gefilde abrutschen. Sie erklären uns zum Beispiel wie man reich werden kann. Das ist ganz einfach, man räume einfach den Fußboden frei (bei vollen Fußböden kann das Geld nicht fließen), lerne das Gebet des Jabez und beseitige mentale Barrieren. Noch Fragen?
Vieles erinnert so ein bisschen an das Gesetz der Anziehung oder an Wünsche an das Universum und wird einfach nicht weiter logisch untermauert. Dabei wollte man doch nur eine praktische Anleitung in die Hand gelegt bekommen!
Insgesamt bleibt „Simplify your life“ viel zu oberflächlich. Die einzelnen Tipps sind nur kurz, werden nicht weiter erörtert und machen manchmal auch nicht wirklich viel Sinn. Beispiele gefällig? Sie kennen das doch sicher, dass Sie vor dem Fernseher hängen, obwohl der Film uninteressant ist, oder? Tja, wie können Sie sich selbst von der Mattscheibe lösen? Die Autoren empfehlen, einfach einen kurzen Moment in einen anderen Raum zu gehen. Dort würde man dann realisieren, dass es sich nicht lohnt weiterzuschauen. (Frage von uns: Wenn man nicht einmal die Motivation findet, einen Knopf auf der Fernbedienung zu drücken, wie soll man dann die finden, sich aufzuraffen und aus dem Raum zu gehen?)
Nun ja, nächster Tipp. Sie sind morgens noch müde? Die Autoren haben da eine geniale Idee. Gehen Sie doch einfach die Zeitung hoch holen und laufen dann noch mal drei Minuten um den Block? Nicht gut? Das liegt vielleicht daran, dass Sie unzufrieden sind und sich allein gelassen fühlen. Was man da machen kann? Sie müssen Ihren inneren Polarstern finden! Punkt, aus.
Ja, erschreckender Weise geht es häufig wirklich so banal zu.
Der Rest des Ratgebers ist dann sehr amerikanisch angehaucht. In den Staaten scheint es Gang und Gebe zu sein, dass jeder Ottonormalverbraucher sich als Experte des Lebens mausert und dann seitenlange Reden hält im Sinne von „Glauben Sie an sich“, „Lassen Sie sich nicht klein reden“, „Verwirklichen Sie Ihre Träume“, „Sie sind wundervoll“. Also im Prinzip alles, was sich super anhört, aber einen nicht weiterbringt. In „Simplify your life“ gibt es dafür das wunderbare Motto „Entpuppen Sie sich als Schmetterling ihres Lebens“. Gut und schön, aber wie? Indem ich andere Menschen für mich Fernsehsendungen anschauen lasse, um Zeit zu sparen? Oder aufhöre Lotto zu spielen und mir einrede, dass ich das Geld, was ich gewinnen will, auch innerhalb eines Jahres verdienen könnte? Ich weiß ja nicht. Behauptungen kann ja jeder aufstellen, aber was ich davon im Detail habe oder wie genau ich es umsetzen kann, das wird nicht weiter erwähnt. Damit man trotzdem auf ein dickes Buch kommt und leeren Raum befüllen kann, wird jeder Tipp mit einem Comicbildchen geschmückt. Wie sinnig das ist und ob diese Bildchen wirklich etwas hermachen, muss wohl jeder für sich allein entscheiden.
Experten für alle Lebensbereiche?
Ich bin der Meinung, dass es gar nicht funktionieren kann, dass zwei Männer Experten in so gut wie jedem Bereich des Lebens sind. Werner Tiki Küstenmacher ist Pfarrer und Karikaturist. Lothar J. Seiwert hat Wirtschaftswissenschaften studiert. Damit bringen sie sicher Grundwissen in Sachen Finanzen oder Spiritualität mit, aber macht sie das auch zu Profis? Und woher nehmen sie ihr Wissen im Bereich Gesundheit, Beziehungen und Partnerschaft? Natürlich muss man kein Arzt oder Psychologe sein, um auf diese Themen eingehen zu dürfen, aber man sollte sich ihm doch ausführlicher und leidenschaftlicher gewidmet haben. Für mich ist es einfach nicht authentisch, alles besser zu wissen und ein Experte in allem zu sein.
Wie eine schöne und bessere Welt aussieht, wie das Leben wäre, wenn es vereinfacht und total unkompliziert ablaufen würde und wie alle Menschen ab sofort zu leben haben, das kann ich auch selbst sehr gut beschreiben, zum Beispiel mit einem „Schokolade essen ist ungesund. Tun Sie es nicht“ oder „Gehen Sie doch einfach früher schlafen. Dann sind Sie morgens auch ausgeruht“. Leider ist unser Verhalten oftmals alles andere als rational. Da tatsächlich Hilfe zur Selbsthilfe zu geben oder inspirierende Anstöße zu finden, fiel den Autoren überwiegend schwer.
Fazit: Super Ideen im Bereich Selbstorganisation (wenngleich auch etwas abgekupfert von David Allens „Getting things done“), ansonsten ein kleiner Reinfall. Im Nachhinein ist man weder viel schlauer, noch hat man sich sonderlich gut unterhalten gefühlt.