Das Buch, was wir euch heute vorstellen möchten, ist ein wenig anders, als die Ratgeber oder Romane, die wir euch hier sonst präsentieren. Zum einen ist es englischsprachig (aber keine Angst, normales Schulenglisch ist vollkommen ausreichend), zum anderen handelt es sich um eine Art Bildband.

PostSecret ist eine Sammlung bunt gestalteter Postkarten, denen Menschen ihre intimsten Geheimnisse anvertraut haben. Initiiert wurde dieses Kunstprojekt vom Amerikaner Frank Warren.

Warren selbst hat keinen künstlerischen Bildungshintergrund. Er erkannte aber während einer schweren Lebensphase, welch beruhigende und tröstende Wirkung Postkarten, auf die man seine eigenen verworrenen Gedanken und Erlebnissen schreibt, auf einen haben können. In seiner Kindheit schickte er seinen Eltern einmal eine Karte aus dem Ferienlager. Er selbst kam aber vor ihr zuhause an – und erhielt dann praktisch eine Nachricht von sich selbst. Das hat ihn so fasziniert, dass ihn das Thema Postkarten seither nicht mehr losgelassen hat.

3000 Postkarten, ein Projekt

2004 kam ihm die Idee zu seinem Projekt. Er verteilte 3000 leere Postkarten in U-Bahn-Stationen und Kunstgalerien. Die Vorderseite war leer, auf der Rückseite befanden sich seine Adresse und weitere Anweisungen. Jeder sollte anonym ein Geheimnis mit ihm teilen, das man zuvor keiner anderen Person je erzählt hatte. Es könnte etwas sein, was man bereut, ein Betrug, Sehnsüchte, Ängste, eine Geständnis, Kindheitserinnerungen oder auch Demütigungen. Außerdem forderte er die Leute auf, kreativ zu werden, und die Karten auf irgendeine Art und Weise zu gestalten.

Schon bald darauf trafen die ersten Postkarten bei ihm ein. Auf einer davon waren zwei Einkaufslisten notiert – und ganz klein in der Ecke stand „Ich kämpfe noch immer mit dem, was aus mir geworden ist.“
Das fand Warren unglaublich beeindruckend. Die Person schien zunächst nicht mitmachen zu wollen, und hat die Karte zwei Mal für Alltagsnotizen verwendet. Am Ende brach aber doch etwas aus ihr heraus, was geteilt werden musste.

Frank Warren sieht diese Postgeheimnisse als eine Art Heilung. Er sagt, es gibt zwei Arten von Geheimnissen. Die, die man anderen verheimlicht, und die, die man vor sich selbst versteckt. Sich etwas einzugestehen, ist aber ein wichtiger Prozess, um sich selbst davon zu befreien und Veränderung anzuregen. Etwas auf eine Karte zu schreiben und anschließend anonym an jemanden zu senden, ist, als teile man seine Last mit einem guten Freund. Als würde man von irgendwem verstanden werden.
Auch er selbst hat Geheimnisse geteilt, und meint, anschließend hätte er sich so leicht und frei gefühlt, wie noch nie in seinem Leben.

Postkarten als Therapie?

Die Psychologin Anne C. Fisher hat das Vorwort in seinem Buch „PostSecret“ geschrieben. Sie vergleicht den kreativen Prozess während der Entstehung einer solchen Postkarte mit der Psychotherapie. Man „spricht“ über schmerzliche Erlebnisse, redet sich etwas von der Seele, erkennt sich darin selbst, übernimmt Verantwortung und handelt, man bewegt etwas, und kann darin neue Hoffnung für die Zukunft schöpfen.

Obwohl Warren später keine weiteren Postkarten mehr verteilt hat, schickte man ihm weiterhin aus allen Teilen der Welt seine Geheimnisse. Das Projekt ist zu einem Selbstläufer geworden, und auch die Webseite www.postsecret.com, auf der er alle Karten präsentiert, ist heute international bekannt.

Von Masturbation und toten Großmüttern

Was für Geheimnisse sind das? Was kann man sich darunter vorstellen?

Manche davon sind belanglos. Die Karten sind schön anzusehen, aber die Message ist nicht weiter interessant. Zum Beispiel: „Ich habe alle Blaubeeren aufgegessen, und sie waren lecker.“
Über manche kann man lachen, wie: „Ich glaube, dass meine tote Großmutter jedes Mal, wenn ich masturbiere, mit großer Enttäuschung auf mich herabblickt.“
Andere Dinge verrät man lieber nicht seinen Mitmenschen, wenn man weiter auf freiem Fuß bleiben möchte, etwa: „Es gab kein Reh. Ich bin einfach zu schnell gefahren.“ Oder noch extremer: Seit zwei Jahren sitzt er für das im Gefängnis, was ich getan habe. Neun weitere folgen noch.“
Aber die, die mitten ins Herz treffen, sind die Nachrichten, bei denen man schon mal das ein oder andere Tränchen verdrückt: „Ich wünschte, ich wäre blind, sodass ich mich nicht jeden Morgen im Spiegel betrachten müsste.“ Oder: „Ich mach eine Therapie, in der ich lerne, mich zum ersten Mal in meinem Leben selbst zu lieben. Ich bin 26.“

Diese kleinen Nachrichten für sich allein sind schon interessant, werden aber erst durch die visuelle Gestaltung zu wirklichen Schätzen. Hier sind drei Beispiele:

•    Ehrlich und ein Tabu

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•    Zum Weinen:


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•    Vergänglichkeit:

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Extraordinary Confessions from Ordinary Lives

Die schönsten Karten hat Frank Warren in verschiedenen Büchern mit dem Titel PostSecret festgehalten. Wir sprechen heute über die britische Ausgabe „PostSecret: Extraordinary Confessions from Ordinary Lives“ mit der ISBN-Nummer 978-0752883069.

Es handelt sich dabei um ein tolles Hardcover im Format einer überdimensionalen Postkarte. Die Qualität ist hervorragend; die Seiten sehr griffig und stabil. Ich bin ehrlich gesagt auch froh, dass es sich nicht um einen Fotodruck handelt, auf den man ja bekanntlich immer die Fingerabdrücke sieht (besonders auf schwarzem Untergrund).

Auf 365 Seiten findet man eine Auswahl aus allen Bereichen – von poetisch bis bitterböse. Dabei entwickelt sich beim Anschauen ein richtiger Sog; man kann das Buch nicht aus der Hand legen, muss sich Seite um Seite ansehen. Man muss lachen, nachdenken und vielleicht auch weinen. Manche Sachen kann man sofort bestätigen, in andere muss man sich erst hineindenken. Man beschäftigt sich mit dem Inneren seiner Mitmenschen, und findet so ein Stück weit zu sich selbst. Es sind auch die eigenen Wünsche, Ängste und Sehnsüchte, die da vor unserem Auge auftauchen. Und es ist beruhigend, nicht allein, sondern, wie alle anderen, einfach nur menschlich zu sein.

Die Magie ist nicht greifbar

Ich weiß nicht genau, warum man Gänsehaut bekommt, wenn man die Karten liest. Die Magie lässt sich nicht erklären. Frank Warren vergleicht das gern mit einem Witz. Würde man versuchen, herauszufinden, warum dieser lustig ist, dann ginge etwas daran verloren.
Sagen wir es einfach so: Man wird in eine Stimmung versetzt, die nicht greifbar ist, und die mitten ins Herz trifft.

Diese Ausgabe von „PostSecret“ ist ein wundervolles Geschenk für alle, die ein wenig Englisch verstehen, und sonst schon alles haben. Es ist ein Buch, für die es eigentlich keine richtige Zielgruppe gibt. Jeder wird Gefallen daran finden!

Auf der letzten Seite befindet sich übrigens eine Postkarte zum ausschneiden, die mit der PostSecret Empfangsadresse beschriftet ist:

PostSecret
13345 Copper Ridge Rd
Germantown, Maryland
20874-3454

Also? Was ist dein Geheimnis…?