Auf der Suche nach einem tollen Sommerbuch griff ich kürzlich zu „Mit der Geschwindigkeit des Sommers“ von Julia Schoch. Wo Sommer drauf steht, wird doch auch Sommer drin sein, dachte ich. Auch das schön gestaltete Cover lockt mit tropischen Assoziationen, passt es farblich doch so schön zum Meer oder zum Poolwasser.

Auf der Rückseite wird bereits angedeutet, dass es um die DDR geht. Aber das war mir egal. Auch dort gab es ja heiße Sommer und tolle Geschichten. Also rein ins Vergnügen…

Ja, und auf dieses Vergnügen habe ich dann 150 Seiten lang gewartet. Und dann was? Dann kam die Geschichte in Fahrt? Nein, leider, leider liebe Leute – sie war dann zu Ende. Oder doch zum Glück?

Frau bringt sich um. Warum?

Auf ganzen 150 Seiten stellt eine junge Frau, über die wir nicht allzu viel erfahren, und die auch keine besondere Rolle in dieser Geschichte zu spielen scheint, das Wesen ihrer Schwester dar. Ihre Schwester, die sich in New York von einem Hochhaus stürzte. Keine Angst, damit verrate ich nicht zu viel. Das Ende der Geschichte wird bereits am Anfang offengelegt.

Warum hat sie es getan? Das versucht die Erzählerin zu ergründen. Ihre Schwester soll bereits als Kind in der DDR ein wenig anders gewesen sein. Sie hatte diesen leeren Blick, war anteilnahmslos und gelangweilt. Dieses Wesen hat sich weiter verfestigt, nachdem die ganze Familie in ein eigens errichtetes Militär-Örtchen nahe der polnischen Grenze zog. Dort war es grau und hässlich. Alles wurde zubetoniert und überall war man von Kasernen umgeben. Man versuchte die Trostlosigkeit zu überspielen, gab sich Vergnügungen hin, versuchte es sich schön zu machen. Aber der Schatten, der über alle Leute lag, war offensichtlich.

Die Kinder waren die, die sich am ehesten mit der Situation abfinden konnten, denn sie hatten noch Träume. Träume eines Tages hier auszubrechen, etwas zu erleben, etwas zu werden.
Vermutlich hatte das auch die Schwester geglaubt. Genau wissen wir das nicht. Obwohl die Erzählerin uns Dinge berichtet, die sie eigentlich kaum wissen kann (vor allem in dieser Detailtreue) lässt sie uns mit anderen Fragen im Dunklen stehen. Mal wirkt es, als wäre sie die Schwester selbst, und mal, als hätte sie die Person, über die sie schreibt, nicht annähernd gekannt.

In ihren Jugendjahren hat die Schwester eine kurze Beziehung zu einem Soldaten. Für beide ist es nichts Ernstes. Sie wollen sich nur gemeinsam den Illusionen einer anderen Welt hingeben, dem Entkommen des Kaffs, einem kurzen Abenteuer des Alltags. Das war im Sommer. Heißt das Buch deswegen „Mit der Geschwindigkeit des Sommers“? Mehr sommerliche Schnittpunkte hat es jedenfalls nicht gegeben.

Später geht sie dann ihren Weg, beendet die Schule, bekommt eine Ausbildungsstelle im Ort, lernt einen Mann kennen, wird schwanger, heiratet – und kaum, dass sie sich versieht, ist sie in die gleiche Klischeerolle aller anderen Frauen gelandet. Damit war sie in diesem trüben Städtchen gefesselt. Aus der Traum einer anderen Welt. Andererseits, hat sie je versucht, ein anderes Leben zu leben? Anhand dessen, was wir erfahren: nein.

 

 

 

Die Mauer fällt, die Lethargie bleibt

Dann kommt der Fall der Mauer. Ihr steht alles offen, sie kann reisen und sich ausleben. Was tut sie stattdessen? Sie beginnt eine Affäre mit dem Soldaten aus der Jugendzeit. Der Grund dafür ist weder sexuelle Begierde, noch Sehnsucht. Vielmehr ist es ein Hauch von Nostalgie, was wirklich ironisch erscheint. Damals wollten sie beide raus in die Welt, jetzt wollen sie zurück in die Vergangenheit.

Andere Rezensenten sehen darin die DDR skizziert, die Gefühle der Menschen, die erst in dem einen und dann in dem anderen Land lebten. Aber ich sehe das nicht so. Gut, ich bin noch zu jung, als dass ich die Situation damals wirklich bewusst miterlebt hätte. Aber aus Erzählungen meiner Eltern, meiner Großeltern, Verwandten und Bekannten weiß ich, dass die Ernüchterung immer mit einer Euphorie einherging. Als die Übersättigung kam und neue Probleme die alten ersetzen, wusste man, dass es diese bessere Welt nicht gibt. Aber in der Regel hat man es zumindest versucht – man hat sich andere Länder angesehen, man ist in den Westen gezogen, man hat umgeschult, noch einmal von vorn angefangen.

Die Schwester tat nichts davon. Man hätte ihr ein Paradies eröffnen können, und sie wäre davon unberührt geblieben.

Was ist ihr Problem? Genau erläutert wird es nicht, aber sie scheint depressiv zu sein – und zwar ihr ganzes Leben schon. Grundlos. Es wird zwar viel davon erzählt, was sie niemals begeistern konnte, ja, was sie erdrückt hat, die gespielte Fröhlichkeit, die Enge, die heile Familienwelt, Das TV-Programm, aber niemals wird gesagt, wie sie ihr Leben denn gern gehabt hätte. Ich bin sicher, das wusste sie selbst nicht. Sie war lethargisch, müde, unkreativ, düster, phantasielos und wie es scheint, auch emotional erkaltet.

Und außer, dass uns dieser dunkle, unsympathische und seelisch erkrankte Charakter in jeder erdenklichen unscheinbaren Situation vorgestellt wird, passiert nichts. Es ist schlimm!

Keine Handlung & keine Moral = keine Geschichte

Zugute halten muss man Julia Schoch, dass sie ihr Handwerk versteht. Hier und da läuft sie zur Höchstform auf und verpackt ihre Worte so edel und anmutig, wählt so berührende Metaphern, dass es ein Genuss ist. Nein stopp, dass es ein Genuss wäre. Und zwar, wenn auch nur der Hauch einer Handlung vorhanden gewesen wäre.

Ich bin nicht abgestumpft von der Mainstream-Literatur, und ich bin mir auch nicht zu fein, nachzudenken, zwischen den Zeilen zu lesen und leise Stimmungen aufzuspüren. Ich brauche keine Spannung bis in die Zehenspitzen. Aber irgendein Motiv einer Geschichte sollte doch vorhanden sein?!

Eine Moral zum Beispiel. Jedes Buch möchte doch etwas sagen! Was „Die Geschwindigkeit des Sommers“ ausdrücken will, das kann ich aber nicht ergründen. Vielleicht „Das Leben ist scheiße und macht keinen Sinn“? Wie tiefgründig!

Böse Zungen mögen nun behaupten, ich hätte den Roman nicht verstanden. Und wer weiß, vielleicht das auch so. Das überlasse ich dem Ermessen jedes Einzelnen.

Aber der Sommer ist heiß und voller Abenteuer. Das Leben ist ein wilder Ritt und absolut nicht „scheiße“. Wer mit dieser Einstellung nach sommerlicher Lektüre sucht, die er mit an die Ostsee, nach Mallorca, in die Dominikanische Republik oder auf den Balkon nehmen möchte, wer eine literarische Erfrischung mit Kribbeln und Spannung sucht, der liegt mit diesem Buch vollkommen daneben.

Von uns gibt es das Prädikat absolut nicht empfehlenswert!