Bella und Edward, Scarlett O’Hara und Rhett Butler, Lizzy Bennett und Mr. Darcy … in dieser Reihe berühmter Liebespaare sollten sich zukünftig noch zwei andere Menschen einreihen: Emmi und Leo. Wie, Emmi und Leo? Das klingt irgendwie nicht nach klassischer Literatur, nach Herzschmerz oder nach Hollywood, ich weiß. Und Daniel Glattauers Werk „Gut gegen Nordwind“ wird wohl auch niemals mit Romanen wie „Vom Winde verweht“ oder „Die Sturmhöhe“ verglichen werden. Aber es ist eines der schönsten Liebesgeschichten, die ich jemals gelesen habe. Und deshalb bin ich dafür, dass sie sich von heute an zu den Klassikern der Weltliteratur gesellt, jawohl!

Ein E-Mail-Roman

„Gut gegen Nordwind“ ist eine moderne Fassung eines Briefromans. Da heute so gut wie niemand mehr Briefe schreibt, wurde einfach das Medium gewechselt. In Daniel Glattauers Buch werden E-Mails ausgetauscht. Für mich klang das anfänglich ziemlich langweilig, aber das ist es ganz bestimmt nicht. Dadurch, dass Mails ohne Verzögerung bei der anderen Person landen, handelt es sich nur um eine andere Form des Dialogs. Es gibt keine weitschweifigen und schwülstigen Monologe, sondern knackige und freche Gespräche.

Die beiden Hauptpersonen heißen, wie bereits erwähnt, Leo und Emmi.
Emmi möchte ein Zeitungsabo kündigen, landet aber nicht bei der Redaktion, sondern im E-Mail-Postfach von Leo Leike. Gut, das ist nicht sonderlich realistisch, aber irgendwie müssen die beiden ja aufeinander stoßen. Anstatt dieses Missverständnis aufzuklären, und dann wieder eigene Wege zu gehen, beginnen sie, sich zu necken und zu provozieren.
Von Anfang an ist, trotz der Anonymität des World Wide Webs, eine gewisse Chemie vorhanden.

Ob aus Langeweile oder aus Spaß: verspielt wie kleine Kinder ziehen die beiden sich gegenseitig auf, und versuchen sich mit Sticheleien gegenseitig aus der Reserve zu locken. Geht es anfänglich nur darum, die Reaktionen des Gegenübers auszuloten, wird das hin- und herschicken der E-Mails schon bald zur Gewohnheit. Wie alles, was man nur lange genug tut, hat es sich in den Alltag eingeschlichen. Und wenn man längere Zeit mit einer Person zu tun hat, dann passiert es natürlich auch schnell, dass sich echtes Interesse entwickelt.

Der Leser ist live dabei

Die großen Fragen werden ausgetauscht: Wer bist du? Was machst du? Lebst du allein? Aber frech wie die beiden sind, wären direkte Antworten natürlich zu einfach. Von „Rate doch mal“ bis „Verrate ich dir nicht“ werden alle möglichen Spielchen gespielt, die man aus Lesersicht wohl nur als Flirten interpretieren kann. Ja, Emmi und Leo kommen sich immer näher, und der Leser ist von Anfang an live dabei. Er weiß, was die beiden denken, wie sie sich fühlen, und er fiebert von der ersten Sekunde an mit.

Aber natürlich wäre das kein Roman, wenn es nicht auch ein Problem geben würde. Sich einfach mal treffen und kennenlernen? Das ist gut und schön – für Singles. Emmi ist aber verheiratet und hat zwei Kinder, und Leo glaubt, noch immer in seine Exfreundin verliebt zu sein.
Emmi stellt immer wieder klar, wie toll ihr Ehemann wäre, und Leo, dass ihm Emmis Aussehen egal wäre, weil er kein Interesse an ihr hat. Der Leser ahnt aber natürlich, dass das so nicht stimmt, und die beiden sich jeweils nur einen Schutzpanzer schaffen, da sie wissen, dass das, was sie miteinander haben, eigentlich nicht sein sollte und dürfte.

Trotzdem beschließen sie, sich zu treffen – nicht, um sich zu unterhalten, sondern nur, um zu wissen, wie der jeweils andere aussieht. Emmi kann Leo in dem überfüllten Café jedoch nicht finden, und Leo sieht erst gar nicht hin. Er ist in Begleitung seiner Schwester erschienen, und lässt sich drei mögliche Emmi-Kandidatinnen von ihr beschreiben.
Natürlich will er anschließend von Emmi wissen, wer sie war. Die Sexbombe oder doch eher eine der Ottonormalverbraucherinnen? Die „Rate doch mal“ und „Das würdest du wohl gern wissen“-Spielchen gehen an der Stelle weiter.

Richtig kompliziert wird es dann, als Emmi herausfindet, dass Leo wieder Zeit mit seiner Exfreundin verbringt, und sie später versucht, ihn mit ihrer besten Freundin zu verkuppeln. Schließlich ist nichts davon ernst, alles nur ein Spiel – ein unbedeutender Internetflirt. Oder…? Wie kommt es dann, dass doch die Eifersucht in ihr hochsteigt, dass es wehtut, und dass sie betrunken vor dem Rechner sitzt, und tiefe, sinnliche und vor allem doppeldeutige Nachrichten an ihren E-Mail-Freund schickt?

Knisternde Erotik?

Mit „Gut gegen Nordwind“ hat Daniel Glattauer einen Roman geschaffen, in dem alle Nebensächlichkeiten gestrichen wurden. Hier geht es nicht darum, wie man aussieht, welchen Beruf man ausübt, wie der andere riecht, oder was Dritte über ihn sagen. Der ganze Roman ist ein einziges Gespräch, mal witzig, mal tieftraurig, mal oberflächlich, immer gefühlvoll, aber niemals kitschig.
Mal schaffen Emmi und Leo mit ihren Worten knisternde Erotik, mal bringen sie sich gegenseitig zur Weißglut.
Glattauer hat es auf einzigartige Weise geschafft, sich in das Innerste beider Personen hineinzudenken, sie absolut authentisch darzustellen, und zwischen den Zeilen die Anfangsphase des sich Verliebens zu dokumentieren.

Wer selbst gern mal wieder verliebt wäre, der landet mit „Gut gegen Nordwind“ einen absoluten Glückstreffer. Die Schmetterlinge beginnen auch im eigenen Bauch zu flattern, und man wird durch diese klug und humorvoll dargestellte Internetliebe komplett aus seinem Alltag herausgerissen.
Wir können nur sagen: Kaufen. Unbedingt!