Wer wünscht sich das nicht: Ein perfekte harmonische Umgebung, keinerlei Streits und hitzige Diskussionen, und Menschen, die einen mögen? Doch was auf den ersten Blick so gut klingt, kann ganz schnell zur Harmoniefalle werden. Wer Everybody’s Darling sein möchte, und nicht den Mut hat, irgendwo anzuecken, der wird ganz schnell zu Everbody’s Depp.

 

Wen respektieren wir?

Um das zu verstehen, müssen wir uns nur einmal selbst fragen, welche Menschen wir respektieren. Sind das die, die überall „Ja und Amen“ sagen, und alles dafür tun, um von Jedermann anerkannt zu werden, oder die, die ohne Angst auf Verluste sagen, was sie denken, auch eine gewisse Härte an den Tag legen, dabei aber immer fair bleiben?

Das ist wie mit den Außenseitern in der Schule: Sie wollten so unbedingt dazu gehören, dass sie dafür alles gemacht haben oder hätten. Sie haben andere die Hausaufgaben abschreiben lassen, jedem Vorschlag eifrig zugestimmt, jedem Recht gegeben, und sogar dann noch freundlich gelächelt, wenn man sie behandelt hat, wie den letzten Dreck.

Dass Menschen so mit „Ja-Sagern“ umgehen, ist nicht einmal unbedingt eine Charakterschwäche. Es ist eine natürliche Reaktion. Wir wollen wissen, wer unser Gegenüber ist, wir wollen ihn einschätzen können. Dazu erkunden wir wie ein Kleinkind unsere Grenzen. Sind diese jedoch nicht vorhanden, dann gibt es keinerlei Barrieren, die jeweilige Person nicht auszunutzen. Immerhin ist der Mensch bequem – und der andere lässt es ja mit sich machen.

Fallbeispiel Monika

Anhand einer erfundenen Person namens Monika erklärt uns Irene Becker all diese Mechanismen in ihrem Lebensratgeber „Everybodys Darling, Everybodys Depp“. Monika ist das fleißige Bienchen in einer Werbeagentur. Sie liebt ihren Job und mag ihre Kollegen. Deswegen kniet sie sich gleich doppelt in die Arbeit. Überstunden sind für sie genauso wenig ein Problem, wie die zusätzliche Arbeit, die ihr ihre Mitarbeiter aufbürden. Immerhin möchte sie gefallen, und irgendwann auch Karriere machen. Da ist es notwendig auch mal in den sauren Apfel zu beißen.
So denkt sie so lange, bis sie zufällig ein Gespräch zweier Kollegen im Kopierraum belauscht, die sich darüber lustig machen, dass sie wie ein Schäfchen oder ein Stück Wackelpudding wäre, das alles mit sich machen ließe, und deswegen niemals befördert werden würde.

Für Monika war das nicht nur ein gewaltiger Schlag ins Gesicht, es war auch ein Weckruf. Ihr wie auch uns präsentiert Irene Becker daraufhin viele Übungen, in denen wir uns selbst erkennen und erfolgreich ändern können.
Dazu gibt es zunächst einen Fragebogen, den man so ehrlich wie möglich ausfüllen sollte, um zu wissen, wo man steht. Anschließend folgen die Kapitel mit den vier großen W’s:

•    Wissen, was man will
•    Wissen, was man fühlt
•    Wissen, was man kann
•    Wissen, wie es geht

Es geht nicht darum, rücksichtslos und unhöflich zu werden, die Ellenbogen auszufahren und seine egoistischen Denkweisen durchzusetzen. Es geht darum, den Mittelweg zwischen Depp und Egoist zu finden.
Wir dürfen und sollen ja mitfühlend und hilfsbereit sein. Aber dabei dürfen wir auch unsere eigenen Ziele und Bedürfnisse nicht außer Acht lassen. Und diese erfordern von Zeit zu Zeit, dass man sich auch mal gegen den Willen seiner Mitmenschen stellt.
Nur wenn man sich selbst und seine Wünsche richtig gut kennt, ist man in der Lage, authentisch aufzutreten, und zu wissen, wann man nachgeben darf, und wann es besser wäre, Kontra zu geben.

Neinsagen und die killenden Phrasendrescher

Die drei letzten Kapitel geben einem dann praktische Anweisungen, wie man das Neinsagen lernen kann, wie und warum Streits entstehen, und wie man richtig mit ihnen umgeht, und wie man Manipulationsfallen enttarnt, und ihnen aus dem Weg geht.

Letzteres ist auch für sich schon so interessant, dass es gut und gern als eigenes Buch stehen könnte. Auch wer glaubt, kein Depp zu sein, wird dort eine Menge lernen, und schon am nächsten Tag viele Manipulationsstrategien in seiner Umgebung enttarnen können. Da gibt es den sanften Erpresser, den killenden Phrasendrescher oder das überfließende Tränenkrüglein. Diese Menschen haben gelernt, wie sie ihren Willen am effektivsten durchsetzen können, und wir lernen nun, wie wir ihnen am besten einen Strich durch die Rechung machen.
Dadurch machen wir uns vielleicht nicht sofort Freunde, verdienen uns aber auf langer Sicht deren Respekt.

Menschen, die man respektiert, haben ein scharfes Profil, sie sind fair, erfolgreich, strahlen Stärke aus, zeigen viel Individualität, und geben uns eher das Gefühl, dass wir etwas für sie tun wollen, als dass wir wagen würden, unsere Arbeit bei ihnen abzuladen.
Solche Menschen sieht man oft in Führungspositionen. Sie können wahrscheinlich nicht mehr und nicht weniger, als andere Kollegen, vielleicht arbeiten sie nicht einmal ganz so lange. Aber sie haben eine Stimme, man nimmt sie wahr, sie können sich durchsetzen – und sie bieten damit auch Rückhalt und Orientierung für alle anderen.

Häufig sind das Eigenschaften, die Männer besitzen, weil Frauen sich eher scheuen, am Ende als Zicke, Kampfemanze oder Biest bezeichnet zu werden. Viele Frauen glauben leider noch immer, sie könnten nur weiblich und warmherzig auftreten, wenn sie ihre Hilfsbereitschaft in den Vordergrund stellen, und sich selbst zurücknehmen.

Somebody’s Darling, nobody’s Depp

Aber das stimmt natürlich nicht. „Everybody’s Darling, Everybody’s Depp“ zeigt auf einfache und verständliche Weise, wie wir eine perfekte Balance zwischen den Erwartungen anderer und unseren Zielen schaffen.

Auf 257 unterhaltsamen Seiten führt Irene Becker uns zu dem Punkt, an dem wir erleichtern aufatmen können, um uns zu sagen: „Geschafft: Somebody’s Darling, nobody’s Depp“.
Denn darum geht es. Lieber von manchen gehasst, aber von allen respektiert werden, und sich dabei selbst verwirklichen, als nicht von der Stelle zu kommen, weil wir selbst und andere uns sabotieren, und einen Haufen Steine in den Weg legen.

Wenn mein Wunsch nach Harmonie letzten Endes bedeutet, dass andere mich auslachen und mich nicht mehr ernst nehmen können, dann ist das nun wirklich nicht der Preis, den ich bereit bin, zu zahlen. Wie schaut’s bei euch aus?