Manch einer weiß es, viele aber nicht: „Der seltsame Fall des Benjamin Button“ ist nicht nur ein toller Film mit Brad Pitt, sondern eine über 70 Jahre alte Kurzgeschichte von F.Scott Fitzgerald – der Autor, dessen Roman „Der große Gatsby“ zu einem Weltklassiker wurde.

Mit dem Film hat das Buch aber nur wenig gemeinsam. Das ist allein schon damit teilweise erklärt, dass eine Kurzgeschichte mit knapp 60 Seiten niemals ausreichend Tiefe aufweisen kann, um Grundlage für über eine Stunde spannendes Filmgeschehen zu sein.

 

Inhalt

Die eigentlich Idee aber ist die gleiche: Benjamin Button wird als alter Mann geboren, und stirbt als Säugling. Er muss sein Leben rückwärts leben, und steht damit vor vielen Problemen.

Während es im Film hauptsächlich um die Liebe geht, und die Frage, wie sie auch dann weiterbestehen kann, wenn zwei Leben entgegengesetzt verlaufen, dominieren im Buch Absurditäten und einzelne komische und skurrile Gegebenheiten.

Hier wird Benjamin nicht als kleiner, verkümmerter Greis geboren, der blind ist, und einem Baby doch etwas ähnelt, sondern als weiser, alter Mann mit weißen Haaren und einem weißen Bart. Und nicht nur das: Er hat auch die Bedürfnisse eines alten Mannes, dessen Intelligenz und kurioser Weise auch etwas wie Lebenserfahrung, ohne je gelebt zu haben.

Er wird nicht, wie der Benjamin im Film, ausgesetzt und in einem Altenheim groß gezogen. Sein Vater behält ihn bei sich. Er akzeptiere ihn jedoch nie, wie er war, und zwang ihn zu vollkommen unangemessenen Dingen; etwa Babykleidung zu tragen und Milch aus der Flasche zu trinken.

Als er etwa 20 war, und zur Universität wollte, hat man ihn davon gejagt, weil er das Aussehen eines über 40-jährigen hatte. Also ging er zur Armee.

Erst, als er 50 war, konnte er einen erneuten Versuch an der Universität wagen, aber zu dem Zeitpunkt bemerkte er auch, dass er nicht mehr auf seinem geistigen Höhepunkt war.

Später wurde er als Offizier erneut in die Armee berufen; da hatte er bereits das Aussehen eines 11-jährigen.

 

Alles ist vergänglich

Im Laufe der Zeit hat er auch eine Frau kennen und lieben gelernt, und mir ihr einen Sohn gezeugt. Aber es war keine grenzenlose Liebe, sondern eine, die mit der Zeit bröckelte. Ironischer Weise muss man sagen, ist es fast ein bisschen wie im echten Leben – die Frau wird älter, heimischer, ruhiger, und der Mann jünger und abenteuerlustiger.

Fitzgerald stellt also nicht nur eine Gesellschaft dar, die sich an Äußerlichkeiten festbeißt, und nicht bereit ist, einen Menschen so zu nehmen, wie er ist, sondern auch die Vergänglichkeit und das langsame Sterben eines Menschen, während er noch am Leben ist. Diese Passage hat mich besonders berührt, und wird mir wohl immer in Erinnerung bleiben:

„Doch nach und nach wich der honigfarbene Ton ihres Haares einem langweiligen Braun, das blaue Emaille ihrer Augen wurde stumpf und erinnerte immer mehr an billiges Steinzeug; obendrein aber und vor allem war sie mittlerweile viel zu sehr in ihren Gewohnheiten verhaftet, zu selbstgefällig, zu zufrieden, zu blutleer in Momenten der Erregung und von zu nüchternem Geschmack. In der Brautzeit war sie es gewesen, die Benjamin zu allen möglichen Tanzvergnügen und Diners geschleppt hatte – heute war es umgekehrt. Sie begleitete ihn zwar noch, wenn er in Gesellschaft ging, doch ohne Enthusiasmus, schon angefressen von der ewigen Trägheit, die jeden von uns irgendwann ereilt, die heimlich still und leise von uns Besitz ergreift und uns bis ans Ende unserer Tage nicht mehr loslässt.“

Indem er einen Menschen dargestellt hat, der gegen den Strom schwimmt, und sein komplettes Leben aus einer anderen Perspektive lebt, ermöglicht er es dem Leser, sich intensiv mit verschiedensten Gedankenspielen auseinanderzusetzen.

Wer sind wir? Was bestimmt unsere Existenz? Was macht uns in welchem Alter aus? Warum ist das so, und was würde passieren, wenn es anders wäre? Wie entwickelt sich der Mensch?

 

Zwischen den Zeilen

Da es sich um eine Kurzgeschichte, und nicht um einen Roman handelt, haben wir sehr viel Luft, um zwischen den Zeilen zu lesen und uns ein paar Sachen im Kopf zusammenzuspinnen. Wer Spaß an so etwas hat, dem wird das Buch sicher gut gefallen. Wer lieber eine ausführliche Geschichte erzählt bekommt, der läuft mit „Der seltsame Fall des Benjamin Button“ Gefahr, einfach nur emotionslose und doch recht langweilige und weit auseinander gerissene Szenen vorgesetzt zu bekommen.

Alles in allem muss man aber eines doch ganz besonders hervorheben: Fitzgeralds Schreibe, sein sprachliches Talent, seine Schöngeistigkeit. Er war sicher kein Meister der Spannung, kein Anhänger von dicht erzählten Plots und großen Spannungsbögen. Aber er hat Zusammenhänge melancholisch, weise und mit einem ungeheuren Weitblick auf den Punkt bringen können. Das findet man auch in dieser Kurzgeschichte.

 

Fazit

Liebhaber von schöngeistiger Literatur und alle, die „Der große Gatsby“ mochten, werden an „Der seltsame Fall des Benjamin Button“ sicher Gefallen finden.

Wer den Kinofilm mochte, und nun das Original lesen möchte, wird aber bestimmt nicht das vorfinden, was er erwartet hat. Dazu ist das Buch zu kurz, zu knapp, macht zu große Zeitsprünge, und lässt es an Romantik und Momenten, die die Seele berühren, fehlen – etwa den Kolibri auf See, der in Erinnerung an den verstorbenen Kapitän flattert, oder rückwärts laufende Bahnhofsuhren.

In diesem Fall ist es einmal anders, als sonst immer: Dieses Mal ist es der Film, der bunter, reicher und tiefer gestaltet wurde, und der das Buch als eine Art blutleere Kopie zurücklässt.