Vom verlorenen Sohn, guten und schlechten Töchtern, vernachlässigten Enkelkindern und tyrannischen Oberhäuptern. Eine Familientragödie.

Wer glaubt das diesjährige Dschungelcamp wäre extrem spannend gewesen, der hat keine Vorstellung davon, wie sehr sich ein Kandidat in so einer Show wirklich blamieren kann. Würde es Walter Hermansson wirklich geben, dann wüsste er eine Geschichte darüber zu erzählen. Aber Walter ist „nur“ eine Figur aus Håkan Nessers „Mensch ohne Hund“.
Im schwedischen Dschungelcamp vergaß er die Kameras und Millionen von Zuschauern und masturbierte freizügig. Ein großer Fehler! Denn seither trägt er in ganz Schweden den Namen „Wichs-Walter“ und hat seine Eltern damit so beschämt, dass diese sogar eine Auswanderung nach Spanien planen.
Doch vorher ist noch ein großes Familienfest geplant, da zwei Runde Geburtstage anfallen. Das kann doch nicht gut gehen! Und daran ist nicht nur Walter Schuld …

Kurz vor Weihnachten trifft die ganze Familie aufeinander. Da haben wir zum einen den Ehemann, Vater und Großvater, das dominante und störrische Familienoberhaupt, und seine Frau, die so unter ihn leidet, dass sie heimlich den Gedanken mit sich herumträgt, ihn umzubringen. Weiterhin gibt es Ebba, seine Lieblingstochter. Sie hat es zur Oberärztin geschafft, hat dafür aber auch ihre beiden Teenager-Söhne vernachlässigt. Kristina ist die jüngere Schwester, die in ihrem Schatten steht. Wie ihre Mutter lebt sie in einer unglücklichen Ehe und hat ein autistisches Kleinkind. Und nicht zuletzt haben wir Wichs-Walter, der im Schatten von allen steht.

Am Ende passieren zwei Dinge: Wichs-Walter und der homosexuelle Enkel Henrik verschwinden spurlos. Die große Frage ist natürlich das „Warum“?
Und an dieser Stelle erhält Nessers neuester Streich seinen großen Auftritt. Kult-Inspektor Van Veeteren tritt ab und Gunnar Barbarotti, ein neuer Kommissar, kommt ins Spiel. Er ist weniger der Superman und mehr der nette Kerl von nebenan. Er hat nun die schwierige Aufgabe, herauszufinden, was genau passiert sein könnte.
Er spürt, dass mit dieser Familie etwas nicht stimmt, kann sich jedoch nicht so recht erklären,  warum. Jeder von ihnen hat irgendein Päckchen zu tragen, um nicht zu sagen, eine Leiche im Keller versteckt, aber Probleme scheinen hier unter den Teppich gekehrt zu werden. Man spricht nicht gern über die Spannungen, die in der Luft liegen. Aber er ahnt, dass wahrscheinlich an irgendeiner Stelle schlafende Hunde geweckt wurden und dass darin die Ursache der Tragödie liegt.

Obwohl der Leser kräftig miträtseln darf, besticht „Mensch ohne Hund“ nicht unbedingt durch Spannung. Das liegt unter anderem daran, dass es keine Identifikationsfigur gibt, mit der man richtig mitfiebern kann, und dass der Plot ganz schön an den Haaren herbeigezogen ist. Die Auflösung ist nicht sehr befriedigend.
Was aber beeindruckend ist, dass ist das Psychogramm jedes einzelnen Familienmitglieds. Håkan Nesser  guckt genau hin. Wo liegt der Hase bei wem begraben? Wer handelt wie und aus welchem Grund? Warum steht Person a zu Person b in Beziehung c usw.? Das dürfte vielen Lesern sicher Spaß machen.
Als reiner Krimi ist „Mensch ohne Hund“  aber leider weniger empfehlenswert. Es ist zu düster, zu langatmig und leider auch viel zu wahr. Wenn wir uns mit depressiv stimmenden Gedanken herumplagen wollen, dann brauchen wir nur mal die Menschen in unserer Umgebung beobachten und müssen zu keinen Roman greifen, oder?

Fazit: Authentisch, dafür aber beklemmend und schwach im Abgang.